Adrenogenitales Syndrom (AGS)

Hintergrund

Der 21-Hydroxylase Mangel ist mit 95% die häufigste Ursache des Adrenogenitalen Syndroms (AGS). Beim AGS handelt es sich um eine Gruppe rezessiv vererbter Erkrankungen, bei denen in der Nebennierenrinde Gluko- und oft auch Mineralkortikoidhormone in zu geringem Maß gebildet werden. Infolge einer gegenregulatorisch erhöhten ACTH-Ausschüttung werden Vorstufen dieser Hormone vermehrt in Androgene, also männliche Geschlechtshormone umgewandelt.

Die meisten übrigen Fälle von AGS beruhen auf Defekten der Gene CYP11B1 und HSD3B2.

Man kennt drei Formen des 21-Hydroxylase-Mangels, nämlich das klassische Salzverlustsyndrom (SW), die klassische, einfach virilisierende Form (SV) und die nicht-klassische Form (NC).

Die beiden klassischen Formen mit ihrem schweren Enzymdefekt äußern sich schon pränatal durch Virilisierung, während die nicht-klassische Form mit ihrem moderaten oder schwachen Enzymdefekt erst postnatal in Erscheinung tritt. 75% der Patienten mit klassischem 21-Hydrolasemangel haben einen SW, 25% die SV. Neugeborene mit einem SW sind von einem lebensgefährlichen Salzverlust bedroht. Die nicht-klassischen Formen führen postnatal zu hyperandrogenen Symptomen, allerdings sind betroffene Mädchen bei der Geburt noch nicht virilisiert. Meist wird diese Form erst im Erwachsenenalter diagnostiziert. Betroffene Frauen zeigen eine vermehrte Körperbehaarung, einen männlichen Habitus und gestörten oder ausbleibenden Menstrualzyklus; bei beiden Geschlechtern beobachtet man vorzeitigen Verlust der Kopfbehaarung. Unerwünschter Kinderwunsch ist ein häufiges Symptom.

Die beiden klassischen Formen werden durch ihr klinisches Erscheinungsbild, den erhöhten 17- Hydroxyprogesteron(17-OHP)-Spiegel im Serum und die erhöhten adrenalen Androgene diagnostiziert. Die nicht-klassischen Formen erkennt man durch ACTH-stimulierte Serumspiegel des 17-OHP. Der Nachweis biallelischer pathogener Varianten sichert die biochemische und klinische Diagnose eindeutig ab. Als Sekundärprävention im Kindesalter wurde in Deutschland 2004 ein Neugeborenenscreening für AGS eingeführt. Damit zielt man vor allem bei männlichen Neugeborenen auf das lebensgefährliche SW und bei weiblichen Betroffenen auf eine Abklärung schwer einzuordnender Genitalien.

 

Genetik

Der Erbgang aller AGS-Formen ist autosomal-rezessiv. Die klassische Form (SW, SV) hat bei den Yup‘ik Eskimos eine Häufigkeit von 1:300, in Saudi Arabien 1: 5000, in Europa 1:10000-1:16000 und in Asien 1:22000. Die Prävalenz der nicht-klassischen Formen ist in vielen Ethnien sehr hoch: Bemerkenswert ist mit 1:100 die Prävalenz der ethnisch sehr heterogenen Bevölkerung von New York.

 

Nur bei 1% der Elternpaare mit einem AGS-Kind weist man bei einem der Eltern kein pathogenes Allel nach. Weitaus die meisten pathogenen Sequenzvarianten sind Ergebnis einer Mikrokonversion oder einer sehr großen Deletion (30kb) oder einer Duplikation. Das wird durch die spezielle genomische Situation des 21-Hydroxylase-Gens auf dem Chromosom 6 bedingt: Getrennt durch den C4-Komplex befindet sich in relativ enger Nachbarschaft (30kb) ein sehr ähnliches Pseudogen. Die Sequenzhomologie in den Exons beträgt 98%, in den Introns 96%. Die meisten AGS-Betroffenen sind gemischt heterozygot. Den weitaus größten Anteil daran haben 9 Sequenzvarianten. Bei ca. 50% der damit möglichen Kombinationen ergibt sich eine eindeutige Phänotyp/Genotyp-Beziehung. Bei den übrigen ist diese Korrelation nicht eindeutig. Das hat oft schwer nachzuweisende molekulare Ursachen. So kann ein nicht erkanntes dupliziertes Gen sowohl eine verstärkende als auch eine schwächende Sequenzvariante tragen.

 

Indikation

  • Positiver Befund beim Neugeborenen Screening
  • Heterozygotentest
  • Erniedrigte Fertilität
  • Pränataldiagnose – Vorhersage des Phänotyps
  • Pränatalherapie
  • Virilisierung bei Mädchen und Frauen

 

Analytik

Das Gen CYP21A2 wird mittels „long range“ PCR amplifiziert und anschließend mittels Sanger-Sequenzierung analysiert. Große Deletionen und Duplikationen werden mittels MLPA untersucht. Mittels der Next Generation Sequencing (NGS)-gestützten Panel-Diagnostik können bei entsprechender Indikation die Gene HSD3B2, CYP11B1, CYP11B2, CYP17A1, POR und STAR analysiert werden. Darüber hinaus werden große Deletionen und Duplikationen in diesen Genen mittels CNV-Analyse untersucht.

Ansprechpartner

Dr. rer. nat.
Dominik Otto

Telefon

(06172) 9594-562