Hintergrund
Erblich bedingte Arrhythmie-Syndrome sind seltene Erkrankungen, die eine erhebliche
Belastung für die Betroffenen bedeuten. Deren rechtzeitiges Erkennen kann das Risiko für den
häufig fatalen Ausgang der Erkrankung erheblich senken. Man unterscheidet die
lonenkanalerkrankungen von den Kardiomyopathien bzw. strukturellen Herzerkrankungen mit Arrhythmie. Letztere werden
weiter unterteilt in
– hypertrophe (obstruktive) Kardiomyopathie (HCM), Prä valenz l : 500
– arrhytmogene rechtsventrikulä re Kardiomyopathie (ARCM)
– familiäre dilatative Kardiomyopathie, Prä valenz (DCM) l : 2500
– linksventrikulä re Non-Compaction (Nicht-Verdichtung) (LVEF)
Die Prävalenzangaben sind in der wissenschaftlichen Literatur nicht ganz einheitlich. Die
Differenzen sind eventuell populationsbedingt.
Die meisten Kardiomyopathien sind erblich bedingt – bei der hypertrophen Kardiomyopathie
beträgt der Anteil sogar 90%. Sie werden autosomal-dominant vererbt.
Die Erkrankung äußert sich häufig zunächst nicht durch eingeschränkte Belastbarkeit
sondern durch Rhythmusstörungen. 12-Kanal-Ruhe-EKG, Belastungs-EKG, Langzeit-EKG
und die echokardiographische Untersuchung stellen die grundlegenden Untersuchungen dar.
Kann man damit eine erbliche Kardiomyopathie nicht mehr ausschließen, muss unbedingt eine
sorgfältige, sich über drei Generationen erstreckende Familienanamnese vorgenommen werden. Entscheidend ist dabei die Frage nach plötzlichen Todesfällen, Synkopen oder Krampfanfällen, bei denen die Betroffenen 60 < Jahre alt waren,
Steht danach immer noch eine erbliche Kardiomyopathie zur Debatte, kann die
molekulargenetische Diagnostik die endgültige Diagnose erbringen. Wird im Verlauf dieser
molekularen Analyse eine pathogene Mutation gefunden, so ist die Diagnose als gesichert
anzusehen und
man kann nun bei Bedarf auch die präsymptomatischen Risikoträger in der Familie
identifizieren. Für die Träger der Mutation gibt es in vielen Fällen medikamentöse
Unterstützung und wichtige, die Lebensführung betreffende Ratschläge.
Bei den einzelnen Erkrankungen sind jeweils Verursachergene identifiziert worden. Die
Wahrscheinlichkeit, mit der eine pathogene Mutation in den entsprechenden Genen
gefunden wird, ist ganz unterschiedlich. Die folgende Tabelle gibt darüber Aufschluss.
Erkrankung | Verursacher-Gen | Aufklärungsquote |
HCM | MYH7, MYBPC3, TNNT2 | 60 |
ARCM | PKP2, DSP, DSG2 | 60 |
DCM | LMNA, NYH7, TNNT2, SCN5A | 20-30 |
LVEF | MYH7, TAZ, LDB3 | unbekannt |
Die Betreuung von Patient und Familie
Die Diagnose ist auch mit tiefer gehenden klinischen Methoden häufig nicht sicher. In einer
solchen Situation sollte auf jeden Fall die molekulargenetische Diagnostik herangezogen
werden. Sie dient auch in zunehmendem Maße der Risikostratifizierung von
Mutationsträgem. Gerade in Familien mit Fällen von plötzlichem Herztod ist die genetische
Beratung, die auf einer molekulargenetischen Analyse beruht, sicher meist sinnvoll. Aber
sie ist genau so problematisch wie etwa bei der Chorea Huntington oder dem erblichen
Brustkrebs. Das bedeutet, schon die ersten Gespräche nach Absicherung der Diagnose
sollten in Form einer genetischen Beratung stattfinden. Wie auch bei den oben genannten
Krankheiten sollte ein Psychologe mit eingeschaltet werden. Vor allem die Probleme der
prädiktiven Medizin innerhalb der betroffenen Familien können eventuell in spezialisierten,
klinischen Zentren behandelt werden.
Diagnostische Kriterien und Untersuchungsindikationen
– Bestätigung der klinischen Diagnose
– Die Prognose ist zum Teil abhängig vom betroffenen Gen
– Die Familienberatung sollte auf der Basis der identifizierten Mutation geschehen
Analytik
Wenn es die klinischen Zuordnung erlaubt, sequenzieren wir die jeweiligen Hochrisikogene.
Wenn es keine präzise Eingrenzung gibt, wenden wir die NGS-Panel-Sequenzierung an.
Erbliche Herzrhythmusstörungen
Long QT Syndrome, Brugada-Syndrom, Short QT Syndrom
Der plötzliche Herztod ist in Europa und den USA eine der häufigsten Todesursachen. Meistens sind
die Betroffenen älter und leiden unter der koronaren Herzkrankheit. Lebensbedrohliche oder
letale Anfälle von Herzrhythmusstörungen treffen aber auch eine große Zahl unter 40
Jahre alten Personen. In den meisten Fällen erleiden die jüngeren Patienten eine solche
Arrhythmie-Attacke bei ansonsten völliger Gesundheit. Hier ist die kardiale Grunderkrankung
zu einem hohen Prozentsatz erblich. Meistens ist nur ein Gen defekt. Fast alle Erkrankungen werden autosomal-dominant weiter gegeben, einige wenige autosomal-rezessiv. Für den Hausarzt oder den
Kardiologen bedeutet das: Eine sorgfältige Familienanamnese lässt die Erblichkeit meist
schnell erkennen. Fast alle diese Erbleiden kann man wirkungsvoll behandeln, wenn man sie früh genug
erkennt. Das gilt vor allem für die erblichen lonenkanalstörungen. Gelingt die sichere
Identifizierung von präsymptomatischen Trägem pathogener Mutationen, so ist bei diesen
heute definitiv das Risiko für den plötzlichen Herztod durch meist sehr individuelle
Behandlung erheblich zu verringern.
Letzte Sicherheit für die Diagnose einer erblichen Rhythmusstörung erhält man durch den
molekularbiologischen Nachweis der pathogenen Mutation. Der Verlauf und eine sorgfältige klinische Untersuchung helfen der
Molekularbiologie sehr bei der Eingrenzung auf die am wahrscheinlichsten betroffenen Gene.
Auch bei identischer Verursachermutation kann der klinische Phänotyp selbst innerhalb einer
Familie sehr unterschiedlich sein. Deswegen erfordern diese Voruntersuchungen, die letztlich
zu lebensrettender Behandlung bei den präsymptomatischen Mutationsträgem führen sollen,
ein hohes Maß an Abstimmung zwischen dem Hausarzt, dem Kardiologen, eventuell der Klinik und der Humangenetik. Voraussetzung für den Erfolg dieser Prozedur ist natürlich die sorgfältige Familienanamnese.
Das Long QT Syndrom (LQT)
Das Long QT Syndrome ist mit seiner Prävalenz von ca. l :3.000 die häufigste erbliche
lonenkanalstörung. Das EKG dieser Patienten zeigt eine Verlängerung des QT-Intervalls. Die
Betroffenen haben ein hohes Risiko für einen Anfall plötzlicher Bewusstlosigkeit (Synkope),
für Krampfanfälle und plötzlichen Herztod. Die charakteristische Rhythmusstörung, die
Torsade de Paintes Tachycardie (TdP) tritt häufig bei bestimmten körperlichen Belastungen
auf, bei starken Emotionen und im Wochenbett. Meistens stellt sich nach kurzer Zeit der
normale Sinusrhythmus wieder ein. Der erste Anfall verläuft aber auch häufig tödlich. Nicht
selten wird fälschlicherweise die Diagnose Epilepsie gestellt.
Man unterscheidet die Unterformen LQT l – LQT 9. Bei jeder ist ein anderes Gen defekt.
LQT l
Mutationen im KCNQl-Gen verursachen LQ1. Der Funktionsverlust in diesem Gen führt zu
langsamerem Austritt der K+-Ionen und damit zur Verlängerung der Repolarisationsphase.30-
35% der klinisch als erblich identifizierten lonenkanalstörungen lassen sich durch Mutationen
im KCNQl-Gen erklären. Die Symptome treten oft beim Schwimmen auf. Viele
Mutationsträger sind klinisch unauffällig. Die Krankheit wird wirksam mit Betablockem
behandelt.
LQT2
Mutationen im KCNH 2 – Gen verursachen LQT 2. 25-30 der LQT-Patienten sind Träger
einer Mutation in diesem Gen. Auch durch diesen Defekt wird der Ausfluss von Kaliumionen
gebremst. Starke, unvermittelte akustische Reize, Emotionen oder eine Geburt lösen die
Arrhythmie-Attacken aus. In etwas geringerem Maße schützen auch bei dieser Form Betablocker.
LQT 3
Mutationen im SCNSA-Gen verursachen LQT 3. Es handelt sich dabei um aktivierende
Mutationen, die den Kaliumionen-Zustrom verstärken – mit der gleichen Folge wie das
Mutationsgeschehen bei LQT l und 2. Die Attacken erfolgen meist im Schlaf oder bei Fieber.
Betabiocker schützen nur in Einzelfällen vor weiteren Anfä llen. Mexiletin ist bei einigen
Patienten hilfreich.
LQT 5 und 6
Mutationen im KCNE l bzw. 2-Gen verursachen diese beiden selten vorkommenden Formen
des LQT-Syndroms.
Es sind neben LQT 4 noch LQT 7-9 als extrem seltene, aber molekularbiologisch
charakterisierte Formen beschrieben worden.
Das Brugada Syndrom (BrS)
In den meisten Fällen verursacht eine Mutation im SCNSA 5-Gen die Krankheit. In 25-30%
der klinisch diagnostizierten Fälle findet man die Verursachermutation. Auch hier ist der
Erbgang autosomal-dominant. Palpitationen, Schwindel, Synkopen und eben der plötzliche
Herztod sind die Symptome. Der Herztod tritt auch hier meist nachts auf. Das häufigste
Manifestationsalter ist das dritte Lebensjahrzent, aber auch in der frühen Kindheit auftretende
Fälle sind beschrieben worden.
Short QT Syndrome (SQT1 und 2)
Die Krankheiten werden durch aktivierende Mutationen in Genen KCNH2, KCNQ1 und
KCNJ2 hervorgerufen. Sie sind sehr selten. Der Erbgang ist wieder autosomal-dominant.
Auch hier haben die Mutationsträger ein hohes Risiko für den plötzlichen Herztod.
Diagnostische Kriterien und Untersuchungsindikationen
Bestätigung der klinischen Diagnose
Behandlung und Prognose ist abhängig vom betroffenen Gen
Die Familienberatung sollte auf der Basis der identifizierten Mutation geschehen
Analytik
Auf der Basis entsprechender klinischer Daten sequenzieren wir einzelne Hochrisikogene. Wenn solche Informationen nicht vorliegen, findet die Sequenzuntersuchung mit Hilfe der NGS-Panel-Diagnostik statt.